Draußen hat man nur einen Versuch

Der in der Street Art erwachsen gewordene Künstler Kay Schwarz legt einen Werkbericht über seine Entwicklung vor

Von Jens Kassner

Viele Leipziger und Gäste haben sicherlich in den letzten Jahren mal einen Sticker an Laternenmasten und anderswo gesehen. „Wantet“ steht in Versalien drauf. Darunter ein auf die Kontur reduzierter Kopf und der Schriftzug „einen Menschen“. Diogenes, der Ur-Kyniker, soll auf dem Marktplatz des antiken Athen am hellen Tag mit einer Laterne rumgelaufen sein, um einen Menschen zu finden. Während bei diesen Aufklebern nicht so viele Betrachter den Urheber kennen, steht sein Name bei der Fassadenbemalung der sogenannten Grünen Villa am Westwerk dabei: Kay Schwarz. Von ihm stammt erneut der charakteristische Kopf, die detailreicheren und bunten Inhalte des Schädels wurden von seinen Freunden der Ritzsch Croo gemalt. Das Bild heißt „Der Illusionist – Die Welt als Wille und Vorstellung“.

Street Art hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen Boom der Aufmerksamkeit erfahren, keinesfalls aber flächendeckende Akzeptanz. Das hat natürlich auch mit den allzu drastischen Unterschieden in der Qualität zu tun. Andererseits werden Street-Art-Künstler, die von der Straße in Galerien wechseln und ihren wahren Namen nicht mehr verbergen, von ihren nach wie vor im Untergrund tätigen Kollegen beargwöhnt.

Der 1979 in Leipzig geborene Kay Schwarz tut es trotzdem, hat nun außerdem im neu gegründeten Verlag Montbertus von Peter Niemann ein Buch herausgegeben, das man ruhig als so etwas wie einen Werkkatalog zumindest für den Zeitabschnitt 2013-2020 nennen kann. „K157″ nennt es sich. Die Zahl bezieht sich auf den Bestandteil einer Gohliser Postleitzahl, da wo seine erste Crew ansässig war.

Tatsächlich hat Schwarz so angefangen, wie man sich einen richtigen Helden des Untergrundes vorstellen muss. Wie viele Jugendliche hat er in der DDR den Film „Beat Street“ von Belafonte gesehen, fing an zu skribbeln. Als man dann ab Ende 1989 zunächst an richtige Marker rankam, wenig später auch an Spraydosen, ging es richtig los bis hin zum „Whole Train“, einem komplett besprühten Zug. Die Beherrschung der entsprechenden szeneinternen Fachbegriffe für die diversen Arten des Ausdrucks ist Ehrensache, so wie das fotografische Dokumentieren noch vor der Polizei.

Nach mehreren gescheiterten beziehungsweise abgebrochenen Ansätzen einer Ausbildung hat Schwarz 2009 ein Designstudium an der Hochschule Anhalt und dem Bauhaus abgeschlossen. Ein Sprayer mit Diplom ist sicherlich eine Seltenheit, die Entscheidung gegen ein Studium der „freien“ Kunst zugunsten angewandter Bereiche war aber auch eine bewusste nach vorherigen Irrtümern.

Seitdem hat der Künstler seinen Stil gefunden, man erkennt seine Werke, auch wenn sie nur aus wenigen Strichen bestehen. Er hat die Ausdrucksweise drastisch reduziert. Nicht selten sind die Bilder in Schwarz-Weiß, doch auf kräftige Farben verzichtet er bis heute nicht ganz. Nicht nur Diogenes, auch Nietzsche ist ihm intellektuelle Inspiration, ebenso literarische Helden wie Hamlet. Er ist ein Philosoph unter den Street-Artisten. Das schlägt sich in Bildtiteln wie „Die Idee von einer kosmologischen Freiheit in Abhängigkeit ihrer Naturnotwendigkeit“ nieder, wie ein unterdessen verschwundener Bildfries am Westwerk hieß.

„Draußen hat man halt nur einen Versuch“, sagt Kay Schwarz über seine künstlerischen Anfänge auf der Straße. So ganz haben ihn dieser Kick und dieses Risiko noch immer nicht losgelassen. Er ist heute Familienvater. Ihn als bürgerlich oder gesetzt zu bezeichnen, geht aber trotzdem daneben. Er ist gereift und zu einem festen Bestandteil der Leipziger Kunst neben den Klingers, Mattheuers oder Rauchs geworden.

Presse (Auszug)

At the moment

Aus der Serie "based on a true story"

Das neue Werk von KaySchwarz157 strahlt in einem dominierenden Gelb, das als zentraler Träger seiner künstlerischen Botschaft fungiert. Dieses Gelb ist mehr als nur eine Hintergrundfarbe; es repräsentiert das „Jetzt,“ die Gegenwart in ihrer unverfälschten Intensität. Es verkörpert das Leben und die Emotionen, die unmittelbare Erfahrung des Augenblicks. In diesem Kontext wird die Farbe zum visuellen Anker, der die Betrachter ins Hier und Jetzt zieht, sie in das emotionale Spannungsfeld der Leinwand hineinversetzt.

Die intensive, fast monochrome Farbfläche wird durch subtil aufgetragene Schichten und Überlagerungen durchbrochen, die eine visuelle Tiefe erzeugen und zugleich den emotionalen Zustand des Moments reflektieren. Dabei scheint es, als wolle KaySchwarz157 die Flüchtigkeit des Jetzt festhalten, die sich in den fragmentarisch durchscheinenden Schriftzügen und Symbolen manifestiert. Die Zeichen sind teils verdeckt, teils explizit – es scheint der Name „Icarus“ durchzuschimmern, was eine mythologische Dimension einbringt. Die Anspielung auf Ikarus, den gefallenen Helden der griechischen Mythologie, könnte eine Reflexion über die Grenzen des menschlichen Strebens nach Freiheit und den damit verbundenen Risiken darstellen. Dies verleiht dem Werk eine weitere Ebene, in der die Bedeutung von „Jetzt“ als flüchtiger und riskanter Moment der Existenz aufgefasst werden kann.

Das fragmentierte Wort „GOOD“ wurde nachträglich mit Ölkreide aufgetragen, was auf eine bewusste Auseinandersetzung mit Sprache als formgebendes Element hinweist. Die Anwendung von Ölkreide bringt eine physische Präsenz und Materialität ins Bild, die die inhaltliche Botschaft verstärkt. Es könnte als ironische Bemerkung über die flüchtige Natur des Glücks oder die Unzulänglichkeit von Sprache betrachtet werden, um komplexe emotionale Zustände vollständig zu erfassen. Diese semiotischen Ankerpunkte verweisen auf die Wechselbeziehung zwischen Sprache und Realität, in der Worte sowohl Bedeutung schaffen als auch in ihrer Fragilität bloßgestellt werden.

Im Zentrum des Werks ragen in klarer, fast naiver Linienführung angedeutete Köpfe empor, ein wiederkehrendes Motiv in KaySchwarz157s Oeuvre. Sie spiegeln die Komplexität und Mehrdimensionalität der individuellen Perspektiven wider, die in dieser gelben Farbwelt zu verankern scheinen. Die Köpfe und Symbole interagieren mit dem Bildraum und tauchen aus den Tiefen der Schichten auf. Dabei treten immer wieder Buchstaben in Erscheinung, zum Teil plastisch in 3D dargestellt, was eine zusätzliche Dimension in die Komposition einbringt und den Eindruck eines mehrschichtigen Universums vermittelt. Nur das Portrait ist ein Oneliner, der mit kubistischer Reduktion spielt und die Vielschichtigkeit der Darstellung in eine minimalistische Formsprache übersetzt.

Die Detailaufnahmen des Werks enthüllen eine Materialität und Texturarbeit, die an die urbanen Oberflächen erinnert, welche KaySchwarz157 in seiner fotografischen Arbeit festhält und ins Atelier transportiert. Die Einflüsse aus dem urbanen Raum werden durch die Einschreibung von Graffiti-Elementen deutlich, etwa in Form von sogenannten „Tags“, die als Referenz an die Ursprünge des Künstlers dienen. Ein rotes „E“, das als Teil des Hintergrunds in den Vordergrund durchscheint oder bricht, setzt einen bewussten Akzent. Dieses „E“ ist als Fragment des Alphabets sowohl eine semiotische Spur als auch eine visuelle Unterbrechung. Es bringt eine zusätzliche Dynamik in die Komposition und erinnert an die Spontaneität und den Ausdruckswillen des Graffiti. Die bewusste Platzierung des „E“ fügt sich in das komplexe Spiel der Bedeutungen ein, indem es das dominante Gelb in einen Kontext der ständigen Bewegung und Veränderung einbettet.

Dieses rote „E“ ist mehr als nur ein Farbklecks; es wirkt wie ein Fenster, durch das eine andere Realität in das Bild eindringt. Es lässt an den Prozess des Übermalens und Überarbeitens denken, der in der Straßenkunst allgegenwärtig ist, und suggeriert eine Art palimpsestartiges Arbeiten, bei dem frühere Schichten nie ganz verschwinden, sondern immer wieder durchscheinen. Das „E“ könnte als Symbol für den Prozess des Durchdrückens einer Botschaft verstanden werden, die sich durch die Schichten der Zeit an die Oberfläche kämpft.

Das Werk als Ganzes vermittelt eine spontane Energie, eine Unmittelbarkeit, die aus den Ursprüngen des Künstlers im Graffiti erwächst. Zugleich offenbart es eine tiefe Reflektion, die über den schnellen Ausdruck des Straßenkunstwerks hinausgeht. Es ist ein Spannungsfeld zwischen freiem, emotionalem Ausdruck und kontrollierter Gestaltung – ein ständiges Pendeln zwischen der Rohheit des Draußenseins und der durchdachten Ruhe des Studios. In dieser Gelb-Dimension kulminieren alle diese Elemente zu einer Hommage an das Leben, das Jetzt, und die unbändige Kraft der Emotion.